Wir waren erst vor kurzem umgezogen. Eines Morgens stand vor meinem Küchenfenster, in den steilen Abhang gepflanzt, ein ganz junges Tännchen. Es muss wohl schon am Vorabend dagestanden haben. Ich hatte es nicht bemerkt, denn als ich von der Arbeit nach Hause kam war es ja bereits dunkel . Das Bäumchen war hübsch und wir hatten Advent. Ich freute mich darüber; es passte so gut in diese vorweihnachtliche Zeit.
Aber woher mochte es nur gekommen sein? Tännchen fallen ja nicht einfach so vom Himmel, zu keiner Jahreszeit. Auch nicht vor Weihnachten. Sie stehen auch nicht plötzlich, wie Pilze nach einem warmen Sommerregen,einfach da. Ich musste also unbedingt herausfinden, was es mit dem Bäumchen auf sich hatte.Ich errinnerte mich, dass mein Zweitjüngster, sein Gotti besuchen wollte. Und dieses Gotti wohnt am Waldrand. Ob da wohl ein Zusammenhang bestand?
Ich stellte ihn zur Rede. Ja ob er denn nicht wüsste, dass man im Wald nichts ausgraben dürfe, und…..und….!!
Jetzt sage mir mal einer, wie man einem kleinen Jungen klarmacht, dass man das einfach nicht tut.
Das Bäumchen sei gar nicht richtig eingepflanzt gewesen, meinte er. Es sei fast von alleine herausgekommen. Kaum ein bisschen ziehen, und schon, und überhaupt, „dieses Tännchen wäre dort sowieso nie richtig angewachsen“. Warum wusste er auch nicht zu sagen. Was er aber wusste: “ Die standen nämlich viel zu nahe beieinander“, ein Tännchen bräuchte auch Luft zum Atmen, viel Luft …. und es hätte so trostlos ausgesehen, versuchte er sich zu verteidigen.
Ich schwör’s, es hätte nicht mehr viel gebraucht, und ich wäre vor so viel mitfühlender Naturliebe dankbar in die Knie gesunken. Du gütiger Himmel, da habe ich nun versucht meinen Kindern Verständnis für andere Meinungen vorzuleben. Zu zeigen, wie wenig es oft braucht um seinen Mitmenschen Freude zu bereiten.
Nicht Berge von Geld; nur Liebe im Herzen, ein frohes Gemüt und den guten Willen diese Gaben auch zu nutzen.
Und hatte ich nicht selber schon Blumen von einem Spaziergang nach Hause gebracht? Und die Schlüsselblümchen in unserem Garten, die ich irgendeinmal auf einer Wiese ausgegraben hatte und an denen wir uns jeden Frühling aufs Neue erfreuten? Wo lag denn da der Unterschied?
„Ja weisst du mein Sohn, der Wald gehört uns nicht. Denke einmal, wenn alle Leute dort oder sonstwo einfach ausgraben und mitnehmen würden was ihnen gefällt?“ Versuchte ich es nocheinmal. „
…und die Blumen auf den Wiesen, Mami?“ Sein Gedächnits funktionierte richtig, warum in aller Welt erinnerte er sich dann nicht an meine Ermahnungen.
Als ich am darauffolgenden Abend von der Arbeit nach Hause kam stand der kleine Mann schon erwartungsvoll an der Tür und begrüsste mich aufs Herzlichste.
„Wie geht’s Mami, streng gehabt?“
„Es geht.“
Ich schälte mich aus dem Mantel, ging in die Küche und Sohnemann trabte ungeduldig neben mir her. Ein Blick durchs Fenster….ja, was war denn das?
Unser Bäumchen strahlte in hellem Lichterglanz!!!
Ob es mir gefiele – er platzte fast aus den Nähten vor Erwartung auf meine Freude. Er hätte alles selbstgemacht und es sei doch bald Weihnachten. Aufgeregt zappelte er um mich herum.Ich war sprachlos. Es war wunderschön. Ich war entzückt und freute mich im Innersten über die Geschicklichkeit meines Sohnes.Aber ganz langsam stiegen Zweifel in mir auf.
„Woher hast du die Lämpchen?“
„Ja weisst du Mami …, er schaute zu Boden und drehte an seinem linken Daumen.Nun gut, abwarten dachte ich. Zudem kannte ich seine Sammelwut und seine Gabe aus den unmöglichsten Dingen kleine Wunderwerke zu zaubern. Schon früh hatte er begonnen alles zusammenszutragen was er finden konnte; alte Drähte, verbogenen Nägel, ausgettrocknete Schneckenhäuschen, Papiere von zu Tode gekauten Kaugummis, einfach alles. Er war der Meinung, dass er alle diese Herrlichkeiten eines Tages würde gebrauchen können. Meine Küche schien wie verzaubert mit diesem winzigen Lichterbäumchen vor dem Fenster und ich wollte den Schmelz dieser Stunde nicht zerstören – wollte nicht darüber grübeln, ob alte Schneckenhäuschen und zerknitterte Kaugummipapierchen, auf ein kleines Tännchen gesteckt, zu leuchten beginnen. Er wollte uns eine Freude bereiten und wir haben sie dankbar angenommen.
Ich rüstete das Abendessen und genoss mit jedem Blick durch’s Fenster die Lichterpracht. Es war mir so friedlich und weihnachtlich um’s Herz. Leise begann es zu schneien. Es war als freute sich auch der liebe Gott über die Tat seines kleinen Erdenbürgers, der auf seine Weise versuchte Freude zu verschenken und sich auf’s Christfest vorzubereiten.
PÄNG PAFF …machte es vor dem Fenster und aus war’s mit dem Lichterglanz.
Wir starrten in den dunkeln Garten hinaus. Aus! Vorbei war die Pracht!
Die Lämpchen auf unserem verfrühten Weihnachtsbäumchen hatten wohl die schmelzende Schneeflocken nicht vertragen. Die Elektrizität hat eben ihre eigenen Gesetze. Kurz war der Traum gewesen, aber er hatte genügt uns ein bisschen Wärme und Glück zu vermitteln.
Für ein paar Tage gab’s dann ziemlich Unruhe im Haus wo wir wohnen, denn am nächsten Morgen fehlten an sämtlichen im Keller abgestellten Velos die Lichter.
Der liebe Gott wird mit dem kleinen Sünder wohl ein Einsehen gehabt haben; die Nachbarn hatten es auch.
Quelle: 01.12.2013 http://www.marga.ch